ES FUNKTIONIERT NUR MITEINANDER

Die studierte Theologin Ute Mertens ist seit 2009 Superintendentin des Kirchen-Kreises Elbe-Fläming. Wir sprachen mit ihr über Mut, Hoffnung und Gemeinschaft.

WAS MACHT EIGENTLICH EINE SUPERINTENDENTIN?

Vergleicht man meine Arbeit mit der kommunalen Ebene, bin ich sozusagen die Landrätin und als solche zuständig für den Kirchenkreis Elbe-Fläming mit rund 11.300 evangelischen Gemeindemitgliedern. Territorial umfasst unser Kirchenkreis den gesamten Landkreis Jerichower Land (mit Ausnahme der Stadt Jerichow), reicht aber noch deutlich darüber hinaus.

 

WIE MUSS MAN SEIN FÜR DIESEN JOB?

Einfühlsam, empathisch, ein guter Netzwerker. Ganz wichtig ist, dass man gut zuhören kann, was die Menschen bewegt. Und natürlich muss man Menschen mögen und gerne mit ihnen arbeiten. Für mich persönlich ist es auch wichtig, ein gutes Fundament im eigenen Glauben zu haben.

WIE ERLEBEN SIE DIE MENSCHEN IM JERICHOWER LAND?

Die meisten sind entspannt und fröhlich. Mir fällt auch auf, dass sie sehr zuversichtlich und dankbar sind. Gerade in den größeren Städten bemerke ich aber auch eine gewisse
Unzufriedenheit, die sich in einer teilweise aufgeheizten Stimmung manifestiert.

WIE WICHTIG IST GEMEINSCHAFT?

Essenziell wichtig! Ohne Gemeinschaft können wir nicht leben, wir sind aufeinander angewiesen. Und das in vielen Lebenssituationen. Denken wir zurück an die Zeit der Coronapandemie, als spürbar wurde, wie krank Einsamkeit machen kann. Wir als Kirche bieten Räume und Vielfalt, wo Gemeinschaft erfahrbar wird und wo wir aus der Gemeinschaft Kraft und Mut schöpfen können. Als im Februar 2022 die Ukraine angegriffen wurde, haben wir in Biederitz spontan ein Friedensgebet gehalten – und die Kirche war voll. In Burg gab es jede Woche Friedensgebete mit vollen Kirchen. Dabei habe ich immer wieder Menschen getroffen, die sonst nichts mit der Kirche zu tun haben. Die aber froh waren, dass wir diese Orte und Angebote hatten, die ihnen Halt gaben, wo sie ihre Ängste aussprechen, ihre Sorgen loswerden konnten. Und wo jeder spüren konnte, dass es Gemeinschaft braucht.

GIBT DIE KIRCHE ALSO AUCH DENEN RAUM UND HALT, DIE ZU HAUSE NICHT DIE BIBEL LESEN?

Auf jeden Fall. Ein Beispiel: Verkehrsunfälle, bei denen junge Menschen zu Schaden oder gar ums Leben kommen. In solchen und ähnlich schweren Situationen kommt oft der gesamte Freundeskreis der Betroffenen geschlossen zu unseren Trauergottesdiensten. Obwohl die meisten von ihnen keinen direkten Bezug zur Kirche haben, folgen sie unserer Einladung, kommen nach vorne an den Altar, zünden Kerzen an, erfahren Halt und Trost. Umgeben und getragen von unserem Notfallseelsorgeteam, das ihnen das Gefühl vermittelt: Wir sind für euch da.

SIE BIETEN AUCH DIGITALE ANDACHTEN AN. MIT WELCHEM ZUSPRUCH?

Sitzen im Gottesdienst in der Kirche oftmals nur wenige Menschen, erreichen wir mit unseren etwa zehnminütigen Andachten auf unserem YouTube-Kanal „Kirche aus dem ff“ deutlich mehr. Manche Andachten haben bis zu 250 Aufrufe. Die Idee ist während des Corona-Lockdowns entstanden, als wir überlegt hatten, wie wir die Menschen trotz der erforderlichen Einschränkungen erreichen können. Das haben wir so beibehalten. Ich empfehle: Sonntags einfach mal reinzuschauen – gerade im Advent wird es wieder viele schöne Andachten geben.

STICHWORT ADVENT – DA ZIEHT ES MEHR MENSCHEN ALS SONST IN DIE KIRCHEN. WARUM?

Das hat mit unserer Tradition zu tun. Und mit unseren Gefühlen, mit unserer Sehnsucht nach Ruhe und friedlicher Stimmung, die wir uns in dieser Jahreszeit ganz besonders wünschen. Und was wäre Weihnachten ohne Krippenspiel, ohne Weihnachtslieder oder Orgelspiel? Für all das bietet die Kirche einen einzigartigen Rahmen.

WELCHE ANGEBOTE BIETET DIE KIRCHE IM ADVENT FÜR DIE GEMEINSCHAFT AN?

Viele verschiedene Dinge. Darunter auch zahlreiche Adventsgottesdienste. So bin ich etwa am ersten Advent zum Pyramidenfest in Schartau zu einer kleinen Andacht eingeladen. In Grabow gibt es einen Weihnachtsmarkt, der traditionell mit einem Programm des Kindergartens und der Grundschule in der Kirche beginnt. Gerade in der Adventszeit bieten wir auch in unseren Kirchen verschiedene musikalische Programme an. Diese ziehen auch Menschen an, die gerne das Vokalensemble Burg oder die Biederitzer Kantorei hören, obwohl sie sonst keine Kirchgänger sind. Ein Adventsnachmittag ist speziell unseren Frauen gewidmet. Dazu treffen sich alle Frauenkreise der Region in der Scheune in Hohenwarthe, um gemeinsam Advent zu feiern. Mit Selbstgebackenem, bei Kaffee, Tee, Glühwein und – ganz wichtig – gemeinsamem Singen. Ich merke immer wieder, wie wichtig das ist, zumal zu Hause leider nur noch selten gemeinsam gesungen wird. Dabei vermittelt gerade das so ein schönes Gemeinschaftsgefühl. Besonders schön finde ich auch die Idee der lebendigen Adventskalender, die schon einige Gemeinden aufgegriffen haben. Organisiert von Ehrenamtlichen in der Kirche, auf den Höfen, am ­Straßenrand ... Auch hier geht es nicht vordergründig um Kirche, sondern um das Gemeinschaftsgefühl, gemeinsam an der Feuerschale zu stehen, Glühwein zu trinken, eine Bratwurst zu essen.

UND AUF WEIHNACHTEN FOLGT EIN LANGER, DUNKLER JANUAR – ZEIT FÜR WINTERBLUES UND DEPRESSIONEN?

Das muss nicht sein. Zumal für die evangelische und katholische Kirche das Weihnachtsfest erst am 2. Februar mit Mariä Lichtmess endet, wenn die Rückkehr des Lichtes, das Schutz und Wohlstand symbolisiert, gefeiert wird. Wenn ich das in meinen Neujahrsandachten in evangelischen Grundschulen erwähne, ernte ich immer wieder Erstaunen. Zu Hause verkünden die Kinder dann: „Frau Mertens sagt, der Weihnachtsbaum kann noch stehen bleiben!“ Eine Mutter gestand mir einmal: „Das mussten wir tatsächlich erst googeln. Aber gut zu wissen ...“ Bei mir kommt der Baum sowieso erst raus, wenn die Natur es sagt, also wenn er seine Nadeln verliert.

IHRE WÜNSCHE FÜR DIE MENSCHEN IM JERICHOWER LAND FÜR 2025?

Dass wir uns mehr bewusst werden, wie schön es hier ist, wie reich wir eigentlich beschenkt sind und auf welch hohem Niveau wir manchmal jammern. Dass wir fröhlicher durchs Leben gehen. Und: Lasst uns wieder mehr miteinander statt gegeneinander machen! Denn letztlich funktioniert unser Leben nur miteinander.

ERSTE HILFE FÜR DIE SEELE

Der 58-jährige Jurist Thomas Keilig-Lubecki ist seit 2021 ehrenamtliches Mitglied des Notfallseelsorgeteams ­Jerichower Land und seit April 2024 vom Kirchenkreis berufener Teamleiter.

Still und leise: So agieren die Notfallseelsorgekräfte. Sie stehen Menschen zur Seite, die einen Angehörigen verloren haben, holen sie aus der Schockstarre zurück in die Handlungsfähigkeit. Sie begleiten die Einsatzkräfte von Feuerwehr und Rettungsdienst in der Verarbeitung stark belastender Einsätze.

BEREIT FÜR EIN VERANTWORTUNGSVOLLES EHRENAMT?

Wer Notfallseelsorge beitreten möchte, sollte zwischen 25 und 70 Jahre alt sein, über ein Auto verfügen, ein gutes Einfühlungsvermögen und die Bereitschaft zum Zuhören mitbringen. Vor einem ersten Einsatz bietet das Team eine ausführliche Ausbildung an. Kontakt zur Psychosozialen Notfallversorgung Sachsen-Anhalt